Rosinenpicker Nr. 3, vom 27. Mai 2005

von Karl G. Mund

In dieser Woche habe ich mal ausgiebiger in der "Frankfurter Rundschau" gelesen. Da wird manchmal zwischen den Zeilen viel berichtet. Am 20. Mai z.B. über Kinder von illegal in Deutschland lebenden Menschen in Bonner Kindergärten. Gegen deren Mitarbeiter läuft jetzt ein "Vorermittlungsverfahren" der dortigen Staatsanwaltschaft, weil der Aufenthaltsstatus der Eltern nicht der Ausländerbehörde mitgeteilt wurde (damit diese es leichter hat, die betreffenden Familien abzuschieben).

Der Inhalt des neu geänderten Aufenthaltsgesetzes machte mein historisches Gewissen nachdenklich. Der früher sehr bekannte Radio- und Fernsehunterhalter Hans Rosenthal konnte den Tag der Befreiung vom Faschismus nur erleben - und danach eine schöne Karriere machen, weil viele Menschen, die vom damals gültigen Gesetz unter höchster, d.h. Todes - Strafandrohung dazu verpflichtet waren, ihn eben nicht an seine Verfolger auslieferten. Ich erinnere mich auch noch an den Ausspruch eines Marinerichters jener Zeit, der heute noch lebt im Gegensatz zu vielen, an deren Verurteilung – auch noch einige Tage nach dem 8. Mai 1945 – er beteiligt war: "Was damals Recht war, kann doch heute nicht Unrecht sein". Das sagte er nach seiner Zeit als Ministerpräsident eines wirtschaftsstarken Bundeslandes, als in seinen Augen respektlose Journalisten ihn mit seiner Vergangenheit als "furchtbarer Jurist" konfrontierten.

Die gesetzgebenden Abgeordneten des deutschen Volkes, auch und gerade die grünen unter ihnen, haben da wohl wieder mal ein Mützchen voll Schlaf genommen, als die jüngste Gesetzesänderung beraten wurde. Der Vorwurf betrifft nicht nur die jüngste Änderung sondern auch die schon lange zurückliegende ursprüngliche Fassung. Manche Gesetzgeber von heute mögen vielleicht damals sogar mit mir gegen dieses Gesetz argumentiert und demonstriert haben. Trauriger Höhepunkt der Affäre ist, dass die Polizei im "rot-rot" regierten Berlin sogar razzienartig die Ausweispapiere ausländischer Schüler überprüft. Woran erkennen die eigentlich, ob ein Kind Ausländer ist? Am nicht-arischen Gesichtsschnitt etwa?

Wir sollten aber auch nicht vergessen, dass es mutige Kommunalbeamte mit Zivilcourage gibt, die sich den Forderungen der neuesten Fassung des Aufenthaltsgesetzes entgegenstellen und wenigstens nach Wegen suchen, die Bestimmungen umgehen zu können. Ihnen gebührt mein Respekt, und das soll hier auch öffentlich gesagt werden.

Da möchte einer die Steuern abschaffen lassen. Einer? Millionen! Und dann die Finanzbeamten, diese unersättlichen Kreaturen! Der Gott Israels war so gnädig, diese Plage nicht auch noch über Pharao und ganz Ägypten loszulassen. Ja liebe Leser, Ihr versteht ganz recht, Steuern haben viel mit Religion zu tun, und Finanzbeamte wären ohne die Aufzeichnung der Religion in "heiligen" Büchern nicht vorstellbar. Wenn ich mich recht erinnere, ließ der weise König Hammurabi auch Steuergesetze in seine Stele hauen. Die alten Ägypter haben in unzähligen Hieroglyphen-Tafeln festgehalten, wie bei ihnen Steuern gezahlt wurden, und da kann man auch Beamte sehen, die die Zahlungen (zumeist in Naturalien) registrieren.

Knapp tausend Jahre später wurde die Steuerpflicht auch für Juden im Buche Exodus (2. Mose) festgeschrieben. Ich zitiere aus dem Anfang des 25. Kapitels: "Und der Herr redete zu Mose und sprach: Rede zu den Kindern Israel, daß sie mir ein Hebopfer geben, und nehmt dasselbe von jedem, der es willig gibt. Das ist aber das Hebopfer, das ihr von ihnen nehmen sollt:Gold, Silber, Erz, blauer und roter Purpur, ....." Die Pünktchen stehen für die Aufzählung aller nur vorstellbaren Luxusgüter jener Zeit. Die Steuer zielte somit auf die Wohlhabenden. Und die sollten dann auch freiwillig zahlen, der Stimme ihres Herzens gehorsam. Da hatte sich der alte Moses ja einen schönen Schlamassel aufgeladen. "Hebopfer" haben wir ja auch heute noch für die angeblich Wohlhabenden der Gesellschaft in Gestalt der "Hebesätze" für die örtliche Grundsteuer. So ist das nun mal mit der christlich-abendländischen Leidkultur.

Mensch möge mir nachsehen dass ich bei der Hysterie um Wahlausgang in NRW und die Frage ob, wie und wann nun der Bundestag neu gewählt wird, meine Gehörgänge auf Durchzug gestellt habe. Zu gegebener Zeit werde ich analysieren, wer von welchen Versprechungen profitieren könnte und wer nicht, wer die Geschenke einstreicht und wer die Zeche bezahlt. und da die Zeitungen voll von allerlei Spekulationen waren und sind, wäre dieser Rosinenpicker hier schon am Ende.

Aber die Rettung nahte heute morgen in Gestalt der Wochenendausgabe von "Ha'aretz" aus Tel-Aviv. Die Jungs und Mädels dort verstehen es wirklich, ihrer Regierung kräftig auf die Zehen zu treten. Hören nur zu wenige zu. In der heutigen Ausgabe las ich gleich drei Artikel von Akiva Elder zum Besuch von Mahmud Abbas bei Mr. Bush. Gideon Levi schrieb über die Chancen palästinensischer Abiturienten. Yossi Melman schreibt ausführlich über Sicherheitsprobleme der israelischen Nuklearindustrie. Als ich vor 40 Jahren dort studierte, durfte niemand darüber reden, der Reaktor bei Dimona galt offiziell als Textilfabrik. Neve Gordon rezensiert ein Buch über Ungerechtigkeiten in der israelischen Militärjustiz. Tom Segev berichtet über den Film, den Chaim Yavin, der frühere Anchorman des isr. Fernsehens, in den besetzten Gebieten gerade abgedreht hat. "I cannot really do anything to relieve this misery, other than to document it, so that neither I nor those like me will be able to say that we saw nothing, heard nothing, knew nothing," he says in the film, and in response to a question asserts: "I did not move left. The country moved right."

Und dann kommt da noch der lange Artikel von Alon Hadar über Abir Kobati aus Nazareth. Der beginnt: "She was everything all in one - a woman, an Arab and good-looking". Und am Ende des langen Interviews ist zu lesen: There's at least one man who could solve the problem. Not a Jew or an Arab. Che Guevara. "If I met someone like that," Kobati says with a smile, "I'd get married right away. Together, we'd make revolutions." Wer jetzt Appetit bekommen hat, kann mich anschreiben und kriegt die gewünschten Artikel. Oder www.haaretz.com aufrufen, da gibt's dann auch die Artikel, die ich nicht so toll finde.

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