Rosinenpicker Nr. 8, vom 13. Juli 2005

von Karl G. Mund

Die Präsidentschaftswahlen im Iran haben in Europa wie in Nordamerika für Überraschung und Verunsicherung gesorgt. Entsprechend zahlreich und vielschichtig war das für diese Ausgabe zu sichtende Material. Schließlich fand ich in der letzten Ausgabe von „bitterlemons“ einen Beitrag von Prof. Ramin Jahanbegloo, den ich der Leserschaft ja schon im Rosinenpicker Nr. 5 vorgestellt hatte. Im Anschluss an diesen Beitrag findet Ihr diesen Text in englisch und deutsch.

Aber die Bedeutung dieser Wahl für die im Iran lebenden Minderheiten waren nirgends ein Thema. Was haben z.B. die Yeziden, die noch in Nordwest-Iran leben, von diesem neuen Präsidenten zu erwarten? Wird er sie schützen gegen islamistische Eiferer, die Iran „reinigen“ wollen von „Ungläubigen“?

Letzte Woche haben Terroristen London lahmgelegt. Als Hebel benutzten sie „weiche Ziele“. Und diese Leute geben vor, im Namen ihrer Religion zu morden. Genau wie der Mörder des niederländischen Filmers Theo von Gogh. Der bekennt sich zu seiner Tat und hält den Koran über seinen Kopf, um zu dokumentieren, dass seine Tat in Allahs Willen geschah. Welch ein Hohn! Das hat natürlich mit Religion nichts zu tun, das ist blanker Faschismus. Ich denke, dass mir die wirklich frommen Muslime da zustimmen können. In Großbritannien wie in Deutschland haben führende muslimische Würdenträger öffentlich betont, dass es sich bei den Tätern um Verbrecher handelt, die keinen Anspruch darauf erheben können, im Namen ihrer Religion zu handeln.

Das klingt gut im Fernsehen. Es muss aber auch ankommen in der abgelegensten Moschee zum Beispiel im Irak. Es muss ankommen in den Parlamenten in Ankara und Teheran, in den Kasernen der Sittenpolizei in Saudi-Arabien, bei den Verwaltungsbeamten im Norden und Osten Syriens, bei den Bauern und Hisbollah-Fedayin im libanesischen Beka’a Tal und schließlich auch bei den Aktivisten von Hamas und Islamic Jihad in Palästina wie auch in entsprechender Weise bei den jüdischen Besatzer-Siedlern und ihren noch schlimmeren Kindern in den von Israel seit 1967 besetzten Gebieten. Faschismus interessiert sich nicht für die Grundlagen einer Religion, aber jede Religion wird von Faschisten für ihre Zwecke genutzt, sofern ihre Repräsentanten bereit sind, sich vor den Karren des Faschismus spannen zu lassen. Das ist der Lackmus-Test für die Religionen dieser Welt.

Es ist jetzt auch die große Zeit für Beschwichtiger. Die sind schnell bei der Hand mit Erklärungen, dass ihre Religion ja grundsätzlich Terrorismus oder die Aktivitäten von Selbstmordattentätern verbiete. Geschenkt. Aber die jungen Leute aus Leeds und viele andere, auch aus Deutschland, brechen auf nach Pakistan, um sich in ihre Religion zu vertiefen. Sie haben das Bedürfnis, den Sinn ihres Lebens in ihrer Religion zu begreifen. Sie wollen etwas lernen, was für sie erstrebenswerter ist als die „westliche Dekadenz“ mit der sie aufwuchsen, die sie aber nie wirklich teilhaben ließ, nicht zuletzt, weil diese jungen Menschen Nachkommen von „Kolonialvölkern“ sind.

Es gibt also Leute, die sich das zunutze machen. Und die glaubenseifrige Religiosität so vieler junger Menschen, die nie gelernt haben, ihre Religion auch nur ein wenig kritisch zu betrachten, macht es ihnen sehr einfach. Koran, Bibel, Torah: die heiligen Bücher stecken voller Widersprüche. Für jeden, der darin „Gottes Wort“ finden will, findet sich etwas. Man muss nur einzelne Aspekte aus dem ursprünglichen Zusammenhang heraus nehmen und der Zeit und dem Anlass entsprechend interpretieren. Damit Ihr nicht denkt, das sei nur ein Problem der Muslime, berichte ich jetzt aus eigener Erfahrung.

Ich arbeitete einige Jahre als Westberliner Delegierter in der Anti-Rassismus-Kommission der „Christlichen Friedenskonferenz“. Die meisten der Kollegen waren hochrangige Geistliche aus allen möglichen christlichen Konfessionen. Ihr Ziel war es, eine religiöse Zurückweisung gegen das vor 30 Jahren noch sehr starke und selbstbewusste Apartheidregime in Südafrika zu erarbeiten. Ich war interessiert an einer politischen Bekämpfung jeder Art von Rassismus. Irgendwann wurde es mir zu bunt, und ich konfrontierte die „most reverend fathers“ damit, dass sowohl die Buren in Südafrika wie vor ihnen die Sklavenhalter in den USA bibelfeste Leute waren, die jeden antirassistischen Bibelvers, der ihnen entgegen geschleudert wurde, mit einem rassistischen zu beantworten wussten. Die Eminenzen waren ratlos, machten aber weiter. Irgendwann wurde ich dann nicht mehr eingeladen.

Während meiner Studienzeit in Jerusalem 1965/66 hatte ich schon erste Erfahrungen damit gesammelt, was es bedeutet, die Torah nach politischer Opportunität auszulegen. Es gibt dort Stellen, die ich als Zeitzeugnisse lese, und froh bin, dass ich in einer Zeit lebe, wo es möglich ist, neben anders aussehenden und anders betenden Menschen zu leben, ohne den Wunsch sie wegen dieser anderen Lebensweise von der Erde tilgen zu wollen. „Gedenke an Amalek!“ stand damals schon an vielen Mauern, und in diesen Tagen benutzt eine von Eltern und Rabbinern aufgehetzte Jugend diese Sätze, um ihre Regierung wegen des Rückzugs aus Gaza zu bekämpfen.

Nach den Worten der Torah war Amalek der Ur-Ur-Enkel Abrahams, der zum Stammvater eines Volkes wurde, das mit den Nachkommen Jakobs um Weidegründe im Sinai stritt. Weil die Nachkommen Jakobs wohl nicht immer einsahen, dass sie ihre Verwandten wegen einiger Viehweiden umbringen sollten, wurde eine Legende erzählt, wie Moses seinen Leuten zum Sieg über die Nachkommen Amaleks verhalf (Exodus 17, V. 8-18). Als Moral von der Geschichte wird von einem göttlichen Befehl zur Vernichtung der Amalekiter berichtet (Deuteronomium 25, V. 19). So lange alles, was dort geschrieben steht, als Wort und Wille Gottes zu glauben ist, kann ich also nicht sagen, dass nur jene Eiferer ihre Religion fehlerhaft interpretieren, sondern auch die eilfertigen Beschwichtiger vor den Fernsehkameras. Aber nun stehen dem (in seinem Selbstverständnis) „Realpolitiker“ Ariel Sharon junge Juden gegenüber, die mit Hinweis auf ihre Torah, die „Auslöschung Amaleks“ fordern und die arabische Bevölkerung Palästinas meinen. Und wo Auslöschung nicht machbar ist, so doch zumindest Vertreibung. Mit anderen Akteuren wird in Südkurdistan zur Zeit ein ähnliches Stück aufgeführt, das viel Leid über die dort lebenden Yeziden bringt.

Wer Führungsaufgaben in einer religiösen Gemeinschaft innehat, benötigt kritische Distanz und die Fähigkeit, die Geschichte der Gemeinschaft zu verstehen, sie so zu werten, wie sie in bestimmten Epochen so und nicht anders sein konnte. Aber nie die Vergangenheit als bindend für Gegenwart und Zukunft darstellen, denn dann werden die Fehler der Vergangenheit verewigt. Nur, wer aus den Fehlern der Vergangenheit lernt, kann Zukunft gestalten. Wer dazu keinen Mut hat, wird sich an das Vergangene klammern und irgendwann geht der Lauf der Entwicklung über solche Leute hinweg, sie verlieren den inneren Halt und stürzen in eine geistige Leere. Die jetzigen Terrorbomber und Selbstmordattentäter sind, wie mir scheint, auf diesem Wege.

Yeziden in Deutschland könnten sich jetzt beruhigt im Sessel zurücklehnen. Da haben sie kein Problem, weil für sie Bekehrungen und alles, was damit zusammenhängt, kein Thema ist. Aber Probleme gibt es auch. Weil eine junge Generation heranwächst, die lieber sein will wie die anderen jungen Leute in ihrer Umgebung. Die sich auch begeistern will für gewalttätige Rap-„Dichtung“, für Drogenkonsum, für „Freiheit“ von den Vorstellungen der Generation ihrer Eltern. Manche sind noch „stolz, Yezide zu sein“, ohne zu wissen, ja, oft ohne wissen zu wollen, worin ihr Yezidentum eigentlich besteht. Mir kommt dieser „Stolz“ manchmal so vor wie hastig aufgetragene Schminke, die vorm Schlafengehen genau so hastig wieder abgewischt wird.

Mirê Şêxa Said Tahsin Beg ist in diesen Tagen zu Besuch in Deutschland. Auf den kann jeder Yezide stolz sein. Welches Volk hat einen Repräsentanten, der nicht nur seit 61 Jahren im Amt ist, sondern auch noch so aktiv, und immer bestrebt, für die ihm anvertrauten Menschen die bestmöglichen Lebensbedingungen zu erreichen! Das ist im heutigen Irak etwas schwieriger, als bei deutschen Behörden etwas zu beantragen, was auch nicht gerade leicht ist, wie viele meiner LeserInnen wissen. Ich möchte deshalb auch im Namen der Redaktion den Mir der Yeziden aufs herzlichste in Deutschland begrüßen und hoffe, dass seine Bemühungen nachhaltigen Erfolg haben werden. Dazu möchte ich Seine Hoheit bitten, der yezidischen Jugend in diesem Lande eine Wegweisung zu geben, die sie befähigt, in Einklang mit den religiösen Werten ihrer Vorfahren sich in die Gesellschaft dieses Landes zu integrieren und dabei ein für alle erkennbares Beispiel zu geben von der Friedfertigkeit ihrer Religion und Ursprungskultur. Dazu ist sicher auch die Anleitung zu kritischer Betrachtung der eigenen Geschichte nötig, um zu erkennen, wo die Übernahme von Brauchtum der anders gläubigen Umgebung die eigene Entwicklung behindert hatte. Denn daraus kann erkannt werden, welches Brauchtum der heutigen Umgebung das Überleben des Yezidentums in Europa gefährden könnte.

Obwohl Mirê Şêxa mit Ausnahme eines mehrjährigen Exils in London nicht mit den Bedingungen der Diaspora konfrontiert war, hat er den Yeziden der Diaspora mehrmals mit feinfühligen und wichtigen Ratschlägen aufgezeigt, wie ein Leben fernab der Heimat gestaltet werden kann, ohne die Werte der Religion und die der Aufnahmegesellschaft zu vernachlässigen oder gar zu verletzen. Gerade sein Appell an die ältere Generation, sich von sündhaften und der Religion widerstrebenden Taten wie der Blutrache zu distanzieren oder ihre Kinder nicht gegen ihren Willen und nicht zu horrenden Brautpreisen zu verkaufen, hat die Notwendigkeit aufgezeigt, dass Handlungsbedarf besteht. Das Oberhaupt der Yeziden entbindet aber auch die Jugendlichen nicht von ihrer Pflicht, die Werte ihrer Religionsgemeinschaft wichtig zu nehmen und zu pflegen. So gesehen ist es gut und wichtig, dass die Yeziden auf die Unterstützung nicht nur ihrer regionalen Bezugspersonen zählen können, sondern auch auf die Hilfe ihrer geistlichen und weltlichen Oberhäupter.

 

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What does Ahmadinezhad's victory mean?

Ramin Jahanbegloo

The landslide victory of Mahmoud Ahmadinezhad in the second round of Iran's presidential elections came as a blow to the reform movement and to the Iranian civil society that elected Mohammad Khatemi to the presidency eight years ago.

Ahmadinezhad is a new face on the political scene to most Iranians and foreign analysts. He is the first non-cleric to hold the position of president since 1989, yet he is seen by many as more fundamentalist than his main opponent, Hashemi Rafsanjani. In a campaign where Rafsanjani advocated better ties with the United States and the European Union and more civil liberties, Ahmadinezhad ran for president on a populist platform with no clear foreign policy, but with plain isolationist tendencies. He criticized Iran's acceptance of World Bank loans and the emergence of private banks which through high interest rates have created a gap between the urban elite and the rural poor.

Ahmadinezhad has also spoken of holding officials to account in order to eradicate corruption and has insisted on more equitable redistribution of national wealth. However, his economic prescriptions are vague: he has been pointing out problems without offering any real solutions.

The big question is whether Ahmadinezhad's domestic and foreign policies will be very different from those of his predecessor. There is no doubt that, with Ahmadinezhad as president, ultra-conservatives now have a monopoly on power, controlling all of the elected and appointed institutions that govern Iran.

Moreover, the new president and his government will face many challenges in order to bring prosperity and peace to Iranians. The most important is to overcome the high rate of unemployment, especially among youth. Unemployment numbers are not very reliable: the official figures stand around 15 percent, but can be assumed to be well over 30 percent. As a result, fully half the population lives in difficult economic conditions. Ahmadinezhad needs to take positive economic steps that don't rattle the nerves of Iranian investors.

Then, too, regarding Iran's foreign policy Ahmadinezhad will surely be less extreme than what many observers predict. A sudden reversion to the revolutionary standards of the 1980s seems unlikely. He will certainly think twice regarding the Islamic Republic's attitude toward the problems of the Middle East.

It is no secret that the new president has very little experience in foreign policy matters. No doubt his foreign policy task will be a difficult one, given the severe polarization within the Middle East and between Iran and the West, and in view of the possibility of foreign interference or regional conflict spilling over into Iran. He has ruled out improving ties with Washington in the near future, stating that Iran does not really need the US.

The Bush administration, knowing that the victory of Ahmadinezhad effectively blocks any move toward a new working relationship between Tehran and Washington, questioned the legitimacy of the entire election. Contrary to the Americans, who seem to be the least shocked by the results, most of the EU countries, especially France, Germany, and the United Kingdom, seem to have been taken by surprise, mainly because they had previously argued that, with Rafsanjani as the new president, the Iranian government would be ready for a comprehensive dialogue with the West.

Things are now different, but the EU members hope that Iran will continue negotiations with them aimed at convincing it to permanently give up sensitive uranium enrichment activities. Germany, the UK, and France are even offering Iran trade incentives and help with its peaceful nuclear energy program. The question now is whether the future Iranian government of Mahmoud Ahmadinezhad will be willing to cut deals with the Europeans and eventually with the Americans.

We need to wait and see how the new president will deal with the parliament, with the military elite and with the country's religious leaders. One way or another, if there is a real return to the rhetoric of the first years of the revolution, it could set alarm bells ringing in many capitals in Europe as well as in neighboring countries. Ahmadinezhad's Iran holds many doubts and uncertainties concerning the degree of centralization of power and the role of religious ideology in foreign policy.

As long as oil prices hold up, Ahmadinezhad can work on his "technopopulism" without rocking the boat too much. But if oil earnings collapse and the new president's assault on civil society and private businesses augments the rising temperature of confrontation with the West over the nuclear program, then his four year term will take a turn for the worse.

Published 7/7/2005 (c) bitterlemons-international.org 
Ramin Jahanbegloo is director of the Department of Contemporary Studies at the Cultural Research Bureau in Tehran and professor of philosophy at Shahid Beheshti University.

Was bedeutet Ahmadinezhads Wahlsieg?

von Ramin Jahanbegloo

Der Erdrutschsieg von Mahmoud Ahmadinezhad in der zweiten Runde von Irans Präsidentenwahl war ein schwerer Schlag für die Reformbewegung und die iranische Zivilgesellschaft, die vor acht Jahren Mohammad Khatami zum Präsidenten gewählt hatte.

Für die meisten Iraner und für ausländische Analysten ist Ahmadinezhad ein neues Gesicht auf der politischen Bühne. Er ist der erste Nicht-Kleriker im Präsidentenamt seit 1989, aber viele betrachten ihn als fundamentalistischer als seinen Hauptgegner Hashemi Rafsanjani. Wo Rafsanjani im Wahlkampf sich für ein besseres Verhältnis zu den USA und der EU und für eine Ausweitung der Bürgerrechte aussprach, führte Ahmadinezhad seine Kampagne auf populistischer Basis ohne klar umrissene Außenpolitik aber mit offen isolationistischer Tendenz. Er kritisierte die Annahme von Weltbank-Anleihen durch Iran und die Entstehung privater Banken, die durch hohe Zinsen eine Kluft zwischen der städtischen Elite und der Landarmut geschaffen hätten.

Ahmadinezhad sprach auch davon, Beamte zur Verantwortung zu ziehen zwecks Auslöschung der Korruption, und er bestand auf einer gerechteren Neuverteilung des Volksvermögens. Allerdings sind seine ökonomischen Vorschläge nicht konkret: er benannte Probleme, ohne Lösungsvorschläge anzubieten.

Die große Frage ist, ob Ahmadinezhads Innen- und Außenpolitik sich sehr von der seines Vorgängers unterscheiden wird. Zweifellos werden die Ultrakonservativen mit Ahmadinezhad als Präsidenten ein Machtmonopol erhalten mit der Kontrolle über alle gewählten und ernannten Institutionen, die Iran regieren.

Außerdem werden der neue Präsident und seine Regierung große Herausforderungen auf sich zukommen sehen in ihrem Bestreben, den Iranern Wohlstand und Frieden zu bringen. Die wichtigste ist die hohe Arbeitslosigkeit besonders der Jugend. Die Arbeitslosenstatistik ist nicht sehr verlässlich: offiziell liegt sie bei 15 Prozent, aber man kann auch eine Quote von über 30 Prozent annehmen. Daraus ergibt sich, dass gut die Hälfte der Bevölkerung unter schwierigen ökonomischen Bedingungen leidet. Ahmadinezhad muss positive Schritte in der Wirtschaft unternehmen, ohne die Nerven iranischer Investoren allzu sehr zu strapazieren.

In der iranischen Außenpolitik wird Ahmadinezhad sicher weniger extrem handeln als viele Beobachter vorhersagen. Eine plötzliche Rückkehr zu den revolutionären Verhältnissen der 1980-er Jahre erscheint unwahrscheinlich. Er wird sicher zwei Mal überlegen, wenn es um die Einstellung der islamischen Republik zu den Problemen des Nahen Ostens geht.

Es ist kein Geheimnis, dass der neue Präsident wenig Erfahrung hat in außenpolitischen Angelegenheiten. Zweifellos wird seine Aufgabe in der Außenpolitik schwierig sein angesichts der ernsten Polarisierung innerhalb der Länder des Nahen Ostens und zwischen Iran und dem Westen, und mit der Aussicht auf fremde Einmischung bzw. einen Regionalkonflikt, der auf Iran überschwappt. Er hat ausgeschlossen, das Verhältnis zu Washington in naher Zukunft zu verbessern mit der Begründung, dass Iran die USA eigentlich nicht benötige.

In der Erkenntnis, dass Ahmadinezhads Sieg jede Annäherung in Richtung eines neuen Verhältnisses zwischen Iran und Washington effektiv blockiert, hat die Bush-Regierung die Ordnungsmäßigkeit der gesamten Wahl in Frage gestellt. Im Gegensatz zu den Amerikanern, die durch die Ergebnisse am wenigsten schockiert schienen, waren die meisten EU-Länder, insbesondere Frankreich, Deutschland und Großbritannien ziemlich überrascht, hauptsächlich, weil sie zuvor argumentiert hatten, dass die iranische Regierung mit Rafsanjani als neuem Präsidenten für einen umfassenden Dialog mit dem Westen bereit wäre.

Das ist nun anders, aber die EU-Länder hoffen, dass Iran weiter mit ihnen verhandeln wird auf das Ziel hin, die sensible Urananreicherungstechnik auf Dauer aufzugeben. Deutschland, Großbritannien und Frankreich bieten Iran Handelsvorteile an und Hilfe bei einem Programm friedlicher Kernkraftnutzung. Nun ist die Frage, ob die künftige iranische Regierung von Mahmoud Ahmadinezhad bereit sein wird zu Verträgen mit den Europäern und möglicherweise mit den Amerikanern.

Wir müssen warten und sehen, wie der neue Präsident mit dem Parlament umgeht, mit der Militärelite und mit den religiösen Führern des Landes. Wie dem auch sei, wenn es eine wirkliche Rückkehr zur Rhetorik der frühen Jahre der Revolution gibt, werden in vielen Hauptstädten Europas die Alarmglocken läuten, so wie auch in den Nachbarländern Irans. Ahmadinezhads Iran lässt viele Zweifel und Unsicherheiten offen bezüglich des Grades der Zentralisierung der Macht und der Rolle religiöser Ideologie in der Außenpolitik.

Solange der Ölpreis hoch bleibt, kann Ahmadinezhad an seinem "Technopopulismus" basteln, ohne das Staatsschiff zu sehr schwanken zu lassen. Aber falls dieses Einkommen wegbricht und der Angriff des neuen Präsidenten auf die Zivilgesellschaft und die privaten Unternehmer auch noch die ansteigende Hitze in der Konfrontation mit dem Westen wegen des Nuklearprogramms zuspitzt, dann wird die vierjährige Wahlperiode ein bitteres Ende bekommen.

Veröffentlicht am 7.7.2005 (c) bitterlemons-international.org. (Übersetzung: Karl G. Mund)

Ramin Jahanbegloo ist Leiter des Fachbereichs für zeitgenössische Studien am Kulturforschungsinstitut in Teheran und Philosophieprofessor an der Shahid Beheshti Universität.

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