Rosinenpicker Nr. 9, vom 21. Juli 2005

von Karl G. Mund

Wo Hass gepredigt wird, fällt die Saat häufig auf fruchtbaren Boden. Wo Menschen das Gefühl haben, benachteiligt oder übervorteilt zu sein, wächst auch der Wunsch, andere Menschen als Verursacher des Missgeschicks anzusehen und verantwortlich zu machen. Die „gefühlte Temperatur“ der Emotionen fragt nicht nach realen Ursachen, sondern schließt von einem Einzelfall auf eine Gesamtheit.

Das Christentum sei eine Religion der Liebe, so sagen auch heute noch führende Theologen. Vor gut 900 Jahren, etwa zu der Zeit als aus dem jungen Adi bin Musafir gerade anfangen wollte, der Reformator des Yezidentums zu werden, gab es in Mittel- und Westeuropa viele junge Adelige, die kaum Chancen hatten, einmal bedeutende Feudalherren zu werden. Sie hatten kaum eine Perspektive, die Ansprüche an ihr Leben zu verwirklichen. Wanderprediger zogen durch die Lande und manche von ihnen führten aus, dass es solange nicht besser würde, wie das „Heilige Land“ nicht von den Ungläubigen befreit würde. „Gott will es!“ riefen sie und sammelten unter dem Kreuz die Unzufriedenen in Burgund, Lothringen, dem Hennegau, Franken und Bayern, also in Frankreich, Belgien, Luxemburg und dem Süden des heutigen Deutschland.

Die jüdischen Gemeinden am Wege waren die ersten Opfer des ersten Kreuzzuges, galten sie doch als „Christusmörder“, also als angebliche Verursacher des Leides im „Heiligen Land“. Viele von ihnen töteten sich selbst, um nicht zur „Verunreinigung“ ihres Glaubens an den einen Gott, also durch die Taufe auf die „Dreieinigkeit“ gezwungen zu werden. Sie werden bis heute im Judentum als Märtyrer verehrt. Einen wesentlichen Unterschied zu den heute von vielen Muslimen als Märtyrer gefeierten Selbstmordattentätern gibt es aber: die vielen Juden, die sich umbrachten z.B. in Metz, Trier, Mainz, Worms, Speyer, Heilbronn, Nürnberg, Prag, Regensburg usw., legten nur Hand an sich, töteten keinen anderen, griffen nicht einmal ihre Mörder an. Sie benötigten keine Hasspredigt. Sie gingen in den Tod, weil sie sich nicht vorstellen konnten, in einer Gesellschaft weiter zu leben, wo sie mehr als einen Gott anbeten sollten.

Auf dem weiteren Wege kamen die Kreuzfahrer auch durch das Gebiet des Kaisers von Byzanz, der auch nicht so glaubte wie sie. Worin der Unterschied bestand, hat wohl kaum einer von ihnen begriffen, aber die Menschen glaubten anders, erschienen ihnen deshalb als minderwertig und darum raubten, vergewaltigten und mordeten die Befreier des „Heiligen Landes“ auch hier weiter. Einige verliefen sich unterwegs und landeten im Gebiet von Urfa, wo sie dann die „Grafschaft Edessa“ gründeten, die Bestand hatte bis ins hohe Alter von Şêxadi. Die Hauptmacht des Heeres aber erreichte Jerusalem, massakrierte Juden und Muslime und gründete das „Königreich Jerusalem“, das rund 40 Jahre länger bestand bis der Kurde Sultan Salah ed-Din es 1187 zurück eroberte.

Hasspredigten fielen in Mitteleuropa weiterhin auf fruchtbaren Boden. Ein Gerücht ging um, dass Juden für ihr Passah-Ritual das Blut gemordeter Christenkinder trinken würden. Dazu fanden sich Zeugen, auch unter Konvertiten, und viele Juden wurden verhaftet und hingerichtet. Einige „gestanden“ die ihnen zur Last gelegten „Verbrechen“ unter schlimmster Folter. Diese Vorfälle wiederholten sich in bestimmten Abständen. 1349/50 tobte die Pest durch Mitteleuropa und wieder wurden die Juden als Verursacher genannt, verhaftet, gefoltert, getötet und schließlich nach Osteuropa vertrieben. Und so geht es weiter durch die Jahrhunderte. Die Gebildeten entdeckten den Humanismus, reformierten mancherorts sogar das Christentum, aber auch der Doktor Martin Luther hielt Hasspredigten gegen die Juden im Lande nicht für unter seiner Würde.

Die Aufklärung im 18. Jahrhundert schien den Hass als Instrument der Religion überwunden zu haben, aber gerade ihre Gegner waren trotzdem erfolgreicher und ließen den Wunsch nach Sündenböcken und nach Rache weiter schwelen. Im 19. Jahrhundert wurde Antisemitismus in Deutschland wie in Frankreich „hoffähig“ und so hatte nach dem für Deutschland verlorenen Krieg 1914 – 1918 der Doktor Goebbels willige Zuhörer als er predigte „die Juden sind euer Unglück“. Und später wurden einige von diesen „willige Vollstrecker“ des Holocaust, während die Mehrheit der anderen keine Möglichkeit sah oder aber sehen wollte, wie sie etwas dagegen tun könnten.

Warum immer die Juden? Es gab halt zu wenige Muslime oder gar Yeziden in unseren Breiten, die waren als Gefahr nicht glaubwürdig, aber es gab kaum eine Gegend, wo nicht wenigstens ab und zu ein jüdischer Wanderkrämer („Schacherjud“) oder Viehhändler vorbei kam. Die Geschichte des Hasses in den Religionen und seine mörderischen Folgen ist natürlich weit vielschichtiger, als ich es hier in aller Kürze dargestellt habe. Es gibt viele Bücher zu diesem Thema, gute und weniger gute. Und ich empfehle allen Interessierten, sich in diese Frage vertiefend einzulesen. Zu manchen Detailthemen kann ich auf Anfrage Titel empfehlen, aber es gibt viel mehr Literatur, als ich persönlich kenne.

Nun werden in einigen muslimischen Ländern Juden und Christen gleichermaßen zu Objekten von Hasspredigten. Und junge Muslime, auch solche, die schon in Europa geboren wurden, werden zu willigen Hörern der Predigten und zu willigen Vollstreckern dessen, was ihnen als „Wille Allahs“ indoktriniert wurde. Nach den Attentaten von London vor 2 Wochen hat Tony Blair nun islamische Würdenträger in Großbritannien zusammengerufen und alle haben ihm versichert, dass das mit Islam nichts zu tun habe. Theologisch könnte das richtig sein. jedenfalls, wenn muslimische Theologen sich auf eine verbindliche Lesart der Wurzeln ihrer Religion einigen würden.

Aber alle monotheistischen Religionen kennen Bewegungen, die das Richtige an der Religion „besonders richtig“ verstanden zu haben meinen und sich um die Grundlagen einer wissenschaftlich-kritischen Theologie nicht kümmern möchten. Sie haben die „allein selig machende“ Lösung für die Probleme all derjenigen, die sich nicht tiefschürfend mit Detailfragen befassen möchten, und das macht sie attraktiver als alle gelehrten Theologien. Besonders attraktiv sind in allen Religionen jene Theologie-Rapper, die auf alle Fragen eine einfache Antwort parat haben, Gerüchte für Wahrheit nehmen und für jedes Unglück die Schuldigen präsentieren – und nach dem Rachemord den Weg ins Paradies. Es ist also wieder mal die Situation der durchsichtigen neuen, diesmal geistlichen Kleider des Kaisers aus dem alten Märchen: Wo ist nur „das einfältige Kind“, das laut sagt, dass der neu gewandete Kaiser nackt ist, der scheinbar attraktive Glaube inhaltsleer?

CNN brachte am 20. Juli 2005 ein Interview mit Tareq Ramadan. Er schlug vor, dass führende Geistliche aller monotheistischen Religionen eine gemeinsame Bestandsaufnahme machen und gemeinsam erklären sollten, was nach ihrer Religion Gottes Wille sei(n könnte) und was nicht. Dieser Vorschlag vom Enkel des Begründers der Moslem-Bruderschaft könnte einiges bewirken, das möchte Hoffnung geben. Ich hoffe jedenfalls, dass Herr Ramadan nicht vergisst, auch Mirê Şêxa Said Tahsin Beg dazu einzuladen, um zu hören, was eine Religion ohne Missionsauftrag und Ausschließlichkeitsideologie beizutragen hat „to mend the world“, so ein Buchtitel des kürzlich verstorbenen orthodox-jüdischen Theologen Emil Fackenheim. Denn die Welt, in der wir leben, hat Reparatur bitter nötig. Und vielleicht gelingt das ja. Vielleicht waren die Bomber in London, der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Das jedenfalls wünsche ich mir und allen meinen Leserinnen und Lesern.

 

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