Rosinenpicker Nr. 22, vom 17. November 2006
von Karl G. Mund
In dieser Woche trafen sich die Länderinnenminister zur Beratung über eine Neuordnung der Bleiberechtsregelung für geduldete Flüchtlinge in Deutschland. Êzîdische Flüchtlinge stellen einen wichtigen Teil dieser Menschengruppe dar. Darum darf die Bedeutung eines
Treffens nicht unterschätzt werden, das der Vorstand des êzîdischen Zentrums in Oldenburg dieser Tage mit den beiden Bundestagsabgeordneten Thomas Kossendey und Wolfgang Bosbach (beide CDU) hatte. Denn es handelt sich bei diesen beiden Abgeordneten ja nicht um irgendwelche „Hinterbänkler“, sondern um politische Schwergewichte ihrer Fraktion.
Thomas Kossendey, direkt gewählter Abgeordneter im Wahlkreis 28, Oldenburg-Ammerland, ist inzwischen Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium. Dieses Amt ist im Verhältnis zu dem des beamteten Staatssekretärs zwar eher dekorativ als politisch durchschlagskräftig, drückt aber die Wertschätzung von Fraktion und Kanzlerin für ihren Kollegen aus Nordwestdeutschland aus, und das hat zumindest großes Gewicht in der Öffentlichkeit. Außerdem ist Thomas Kossendey stellvertretender Vorsitzender der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe. Und wenn jemand mit diesem Hintergrund sich für Angelegenheiten der Êzîden interessiert, sollte das durchaus mit Dankbarkeit zur Kenntnis genommen werden.
Wolfgang Bosbach, direkt gewählter Abgeordneter im Wahlkreis 101, Rheinisch-Bergischer Kreis, dem östlichen Teil des „Speckgürtels“ von Köln, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion im Deutschen Bundestag seit fast 7 Jahren und stellvertretendes Mitglied in den z.B. für Bleiberechtsfragen wichtigen Bundestagsausschüssen für Recht und Inneres, sowie im Vermittlungsausschuss, der bei Uneinigkeit zwischen Bundestag und Bundesrat in Aktion treten muss. Darüber hinaus ist er wichtiger Sprecher seiner Partei in Angelegenheiten der Innenpolitik und bekannt dafür, dass er politischem Streit selten oder nie „aus dem Weg geht“, sich trotzdem aber vernünftigen Kompromissen „nicht in den Weg“ stellt. Wolfgang Bosbach ist sehr präsent in der Fernseh-Öffentlichkeit, beliebter Gast bei politischen Talkshows, und da vor allem bekannt für seine deutliche Gegnerschaft zu manchen Tendenzen des politischen Islamismus in Deutschland.
Was kann solch ein Treffen wie das in Bad Zwischenahn bewirken? Thomas Kossendey ist beim Yezidischen Zentrum in Oldenburg ja kein Unbekannter, und dass er seinen Besucher aus dem Fraktionsvorstand durch den Vereinsvorstand mit den Problemen der Êzîden vertraut machen ließ, ist ihm sicher positiv anzurechnen. Bei den Lesern des Forums von Dengê Êzîdiyan haben beide Politiker damit auch zu Recht gepunktet. Umgekehrt sieht die Lage weniger rosig aus, denn für ihre Bundestags-Homepage hielten beide das Treffen für nicht erwähnenswert, jedenfalls bis zur Erstellung dieses Rosinenpickers. Entscheidend wird jedoch sein, ob und wie die beiden Herren auf die Innenminister (Schünemann in Hannover und Wolf in Düsseldorf) einzuwirken vermögen. Bei Ingo Wolf (FDP), dem NRW-Innenminister ist da nur wenig Überzeugungsarbeit nötig, da sein Regierungschef Rüttgers am Zustandekommen des Berliner Koalitionskompromisses in dieser Frage wohl maßgeblich beteiligt war, den auch die FDP inhaltlich mit trägt, wie aus Verlautbarungen vom FDP-Generalsekretär Dirk Nebel in der TV-Show „Berlin-Mitte“ am 16.11. zu entnehmen war. Niedersachsens Innenminister Schünemann ist seinen bisherigen Verlautbarungen zufolge da schon ein schwierigerer Brocken, obwohl auch er am Ende dem Kompromiss zustimmte.
Und ich wäre auch so gerne Mäuschen, wenn Thomas Kossendey die Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe, nämlich Claudia Roth, von dem Gespräch in Bad Zwischenahn informieren wird. Das bleibt aber leider nur ein Traum, bieten doch die schnieken Büros für Abgeordnete und Ausschüsse im Deutschen Bundestag ein äußerst lebensfeindliches Ambiente für Mäuse.
Ich hoffe, dass sein Bericht so spannend sein wird, dass Claudia Roth ihrerseits um ein Gespräch in Oldenburg nachsuchen möchte. Sinnvoll wäre das allemal. Und wie können wir dann noch das Interesse der beachtlichen Gruppe der direkt gewählten SPD-Bundestagsabgeordneten in Wahlkreisen mit überdurchschnittlich hoher êzîdischer Bevölkerung wecken? Da sind auch ein paar illustre Namen darunter, wie z.B. Edelgard Bulmahn, Peter Struck, Elke Ferner, Ottmar Schreiner, Hans Eichel. Es fällt schon auf, dass fast alle Wahlkreise mit überdurchschnittlicher êzîdischer Bevölkerung sozialdemokratische Abgeordnete nach Berlin geschickt haben (Ausnahme: WK 113 am Niederrhein). Und von der Opposition, deren Stimmenanteil in gerade diesen Wahlkreisen auch überdurchschnittlich war, kämen als Ansprechpartner in Frage: Hermann Otto Solms (WK 175, Gießen), Oskar Lafontaine (WK 296, Saarbrücken), Matthias Berninger (WK 170, Kassel) Diether Dehm (WK 42, Stadt Hannover), Winfried Nachtwei (WK 130 Münster), Joseph Fischer (WK 184, Ffm II), Wolfgang Gehrcke (ebenfalls WK 184), Alexander Bonde (WK 284, Emmendingen-Lahr).
Der Hinweis von Wolfgang Bosbach auf die Anwendung des Artikels 25 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes ist sicherlich gut gemeint. Dieser Artikel in inzwischen fast 2 Jahre Gesetz, und es wäre somit zu prüfen, wie vielen Êzîden damit bislang geholfen wurde. Da fehlt mir schlicht die Übersicht. Für diesbezügliche Hinweise aus LeserInnenkreisen wäre ich dankbar. Weil wohl eine nicht unbeträchtliche Zahl êzîdischer Flüchtlinge in Deutschland, speziell solche aus Syrien, Georgien, Armenien und Irak sowohl in einem Alter sind, wo kaum Aussicht auf einen Arbeitsplatz besteht, auch nicht entsprechend qualifiziert sind und zudem häufig auch (noch) nicht als Flüchtlinge im Sinne des Gesetzes anerkannt sind, könnte da eine erhebliche Anzahl an Prozessen auf uns zukommen. Positiv ist aber auch zu vermerken, dass Familien mit Kindern besser abgesichert werden sollen. Und der zugesagte Überprüfungszeitraum bis September 2007 sollte aktiv genutzt werden. Und dazu sind, siehe oben, viel mehr Kontakte der örtlichen êzidischen Vereine und Gruppen zu den Bundes-, Landes- und Kommunalpolitikern dringend notwendig. Die Initiative des Yezidischen Zentrums in Oldenburg darf kein Einzelfall bleiben!
Es ist also noch sehr viel Lobbyarbeit zu tun. Die Diskussionen um die Gesetzgebung im Zusammenhang mit der Bleiberechtsregelung haben dies nun noch einmal überdeutlich gemacht. Dies ist auch ein Appell an alle êzîdischen Vereine in Deutschland, egal, ob sie sich zur „Allianz“ oder zur „FKE“ zugehörig fühlen: Wartet nicht ab, bis „die Oldenburger“ was machen, sondern werdet aktiv in Eurer Region, sucht aktiv nach Bündnispartnern auch außerhalb der politischen Parteien, z.B. auch in Bürgerinitiativen oder „Nicht-Regierungs-Organisationen“ („NGOs“ auf neudeutsch /
„denglish“) auf örtlicher und regionaler Basis. Dabei sollten aufstrebende êzîdische Intellektuelle und Mittelständler auch an Organisationen wie „Rotarier“ und „Lions Club“ denken! Aber es gilt eben vor allem die Landtagsabgeordneten und Kommunalpolitiker Eurer Region quer durch alle Parteien zu informieren, denn die entwerfen, verabschieden und kontrollieren schließlich die Durchführungsbestimmungen zur Umsetzung der Gesetzgebung zum Aufenthalt. Und niemand darf ihnen vorwerfen, dass sie die lebenswichtigen Interessen einer Bevölkerungsgruppe nicht berücksichtigen, solange sie diese nicht kennen!
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