Rosinenpicker Nr. 22 a, vom 22. November 2006

Offener Brief an MdB Wolfgang Bosbach

 

Sehr geehrter Herr Bosbach,

am 13.11.2006 hatten Sie und Ihr Kollege Thomas Kossendey in Bad Zwischenahn ein Gespräch mit den Herren Telim Tolan und Sahap Dag vom Vorstand des Yezidischen Zentrums in Oldenburg (Oldbg.). Als aktiver Teilnehmer am Internet-Forum dieser Einrichtung habe ich den Bericht darüber (http://www.yeziden.de/44.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=277&tx_ttnews[backPid]=22&cHash=6879e07655) mit großem Interesse gelesen und in meinem Weblog „Rosinenpicker“ (http://www.yeziden-colloquium.de/inhalt/kolumne/kolumne_22.htm) auf der Website www.yeziden-colloquium.de kommentiert.

Inzwischen hat die Konferenz der Innenminister aus den Bundesländern einen Beschluss gefasst, der im Wesentlichen die Punkte beinhaltet, die auch in Bad Zwischenahn besprochen wurden. Sie verwiesen in jenem Gespräch auf die Bestimmungen des Artikels 25 (5) Aufenthaltsgesetz. Das ist ja, was die Rechtslage betrifft, auch korrekt. Nur haben ihre Gesprächspartner in Bad Zwischenahn Sie schon darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für ein Verfahren gemäß Artikel 25 (5) Aufenthaltsgesetz in häufigen Fällen lediglich dadurch gegeben sind, dass die Betroffenen vom Bundesamt nicht als Flüchtlinge im Sinne einer internen Gruppenverfolgung anerkannt wurden. Das Bundesamt stützte sich bei der Ablehnung – wiederum formal korrekt – zumeist auf Berichte durch Angehörige der im jeweiligen Lande tätigen Botschaften der Bundesrepublik Deutschland.

Trotz dieses formal korrekten und gesetzeskonformen Vorgehens der befassten Behörden muss ein politischer Handlungsbedarf angemahnt werden. Denn es ist Ihnen wie mir ja auch aufgrund leidvoller deutscher Vergangenheit bekannt, dass bei diktatorischer oder auch „nur“ autoritärer Regierung, sei es auf nationaler oder auf regionaler Ebene nur dann wahrheitsgemäße Zeugnisse ermittelt werden können, wenn den befragten Personen die höchstmögliche Sicherheit vor nachfolgenden Repressionen zugestanden werden kann. Dies dürfte weder bei Befragungen von in der Türkei verbliebenen Yeziden der Fall gewesen sein, noch bei denen in Georgien, Syrien oder gar Iran. Selbst in Teilen Armeniens und der Region Kurdistan im Irak ist das nicht durchgängig gewährleistet, weil deren Zentralbehörden selbst bei korrektester Auslegung ihrer Verfassungen mitunter nur unzureichende Sanktionsmöglichkeiten gegen zur Selbstherrlichkeit neigende Regionalmachthaber besitzen.

Mir wurde berichtet, dass in einigen Fällen die Anträge auf Asyl mit der Begründung abgelehnt wurden, dass den Antragstellern zugemutet werden könne, den „normalen Verfolgungsdruck“ in ihren Heimatländern auszuhalten, und dass dies kein Grund für eine Flucht in den Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland sei. Da denke ich doch gut 17 Jahre zurück an den Herbst 1989. Hätte etwa der damalige Bundeskanzler zusammen mit seinem Außenminister den zu Tausenden in deutsche Botschaften geflüchteten DDR-Bürgern verkünden sollen, sie müssten den „normalen Verfolgungsdruck“ in der DDR aushalten? Nun gut, dem Grundgesetz waren das Deutsche, aber es gab in anderen Botschaften, besonders in Ostasien, auch viele nicht-deutsche Flüchtlinge. Würde heute die Kanzlerin wagen ihnen zu sagen, sie müssten den „normalen Druck“, etwa in Nordkorea, aushalten?

Ohne eine weitsichtige politische Begleitung mag ein formal korrektes und gesetzeskonformes Verwaltungsverfahren unserer Demokratie sowie der Bewegung zur Demokratie hin in so manchen „Schwellenländern“ einen schlechten Dienst erweisen. Dem vorzubeugen ist die politische Pflicht unserer Legislative. Der stünde es gut an, sich einerseits des vorhandenen Wissens der den deutschen Außenvertretungen in der Regel gut bekannten investigativen Journalisten (=Auslandskorrespondenten) und Aktiven von Nicht-Regierungsorganisationen auf dem Gebiet der sozialen und Entwicklungshilfe zu bedienen. Der angesprochene Personenkreis wird sicher nicht jede Frage einhellig beantworten können oder wollen, ermöglicht aber ein breiteres Spektrum für die politischen Entscheidungsträger.

Was nun die Religionsgemeinschaft der Yeziden betrifft, so gibt es in Deutschland kenntnisreiche Personen aus ihren eigenen Reihen, wovon Sie zwei ja schon kennen gelernt haben. Zudem verfügen verschiedene universitäre Institute über weltweit anerkannte Experten. Und auch der in Göttingen ansässigen „Gesellschaft für bedrohte Völker“ wird selbst von langjährigen politischen Gegnern die besondere Sachkenntnis nicht bestritten. Eingedenk all der deutschen Bürger, die zwischen 1933 und 1989 aus politischen wie religiösen Gründen ihre Heimat verlassen und anderwärts Asyl suchen mussten, ist es meines Erachtens heute eine nationale Pflicht, Menschen auf der Flucht nicht mit bürokratischen Mitteln weiter zu drangsalieren. Sicher, es ist zu unterscheiden zwischen Migration aus politischen oder ökonomischen Gründen. Dabei dürfen wir aber auch nicht die Augen davor verschließen, dass oftmals die politische oder religiöse Verfolgung schwer trennbar verknüpft ist mit einer ökonomischen, wie es für Yeziden sowohl aus der Türkei und Syrien, aber auch aus Irak und den transkaukasischen Staaten der ehemaligen UdSSR berichtet wird und in diversen Fällen nachweisbar ist. Ich verweise hier u.a. auf eine jüngst auf www.yeziden-colloquium.de publizierte Studie http://www.yeziden-colloquium.de/inhalt/wissenschaft/Dulz_Savelsberg_Hajo_Yeziden.pdf von Irene Dulz, Eva Savelsberg und Siamend Hajo, zuerst veröffentlicht in: „Kurdische Studien“ Nr. 4+5, sowie einige Abschnitte in dem Aufsatz von Dr. Celalettin Kartal „Islam und Menschenrechte“ in der Zeitschrift „Kritische Justiz“ Nr. 4/2003, bes. S. 388 – 394.

Die im Raum Nürnberg / Mittelfranken erscheinende Regionalzeitung „Fränkischer Tag“ http://fraenkischer-tag.de/nachrichten/druck.php?MappeCID=Oj90hwwa_14~ggiopwgs*gb&Seite=Lokales&SeiteSub=Hassberge berichtet nun in ihrer Ausgabe vom 21.11.2006 für den Kreis Hassberge, dass dort eine 6 köpfige yezidische Familie aus Syrien seit 6 Jahren geduldet ist und hofft von der Neuregelung der Innenminister profitieren zu können, das heißt: endlich eine ordentliche Arbeitserlaubnis bzw. Ausbildungsmöglichkeit zu erhalten. Sie sind gemäß Artikel 25 (5) „vollziehbar ausseisepflichtig“, schon seit Jahren, obwohl sie zu den aus Syrien geflohenen Yeziden gehören, deren Fluchtgründe eindeutig als interne Gruppenverfolgung zu klassifizieren wären, was seitens der zuständigen Behörden aber in einigen Bundesländern negiert wurde, dazu habe ich ja weiter oben schon Stellung bezogen. Hier ist dringend eine Revision der alten Entscheidungen politisch notwendig (für die Betroffenen im wahrsten Sinne des Wortes Not – Wendig!), die „vollziehbare Ausreisepflicht“ sollte wegfallen, was dann nach sich zöge, dass auch die Behinderungen für die äußeren Lebensumstände dieser Mutter und ihrer 5 arbeits- und ausbildungswilligen Kinder wegfielen und die älteste Tochter nicht nur legal sondern auch auf Dauer bei ihrem Ehemann leben kann. Wie in diesem „Falle“, so verhält es sich sicher auch für viele andere Yeziden, die leider immer noch als „vollziehbar ausreisepflichtig“ gelten.

Es wäre schön, wenn Politik, Verwaltung und Justiz, also alle drei demokratischen Gewalten, gerade gegenüber den Yeziden in Deutschland sich wieder an das christliche Beispiel Ihres Parteifreundes Ernst Albrecht erinnern würde, des Vaters der derzeitigen Familienministerin.

In diesem Sinne verbleibe ich

mit freundlichem Gruß 

Ihr Karl-Günter Mund, 
Fahrdienstleiter a.D., 
Reichsbahnobersekretär i.R.

Ovelgönne 60 
49356 Diepholz

E-mail: 3517-655@online.de 
http://www.yeziden-colloquium.de

Dieser „offene Brief“ wird außer Ihnen in Kopie auch Ihren Zwischenahner Gesprächspartnern und der Journalistin Ulrike Langer von der Tageszeitung „Fränkischer Tag“ zugeleitet mit der ausdrücklichen Erlaubnis, ihn in Ihren und deren Medien zu veröffentlichen.

 

Impressum