Yilmaz Yildiz: Der Angriff gegen kurdische Yeziden in Sheikhan
Am 14. Februar 2007 fand in der Stadt Sheikhan (Êsifnê) in Südkurdistan ein sehr grausamer Vorfall gegen die kurdischen Yeziden statt. Der Landkreis Sheikhan ist normalerweise bekannt als Ort der religiösen Symbole der Yeziden, wo die heilige Stätte „Lalisha Nuranî“ (die heilige Stätte, wohin die Yeziden ihre Pilgerfahrt unternehmen) und andere wichtige heilige Grabstätten der yezidischen Religion liegen. Nach Informationen von Internetseiten und durch Bekannte, die durch Internet oder telefonisch mit Sheikhan im Kontakt waren, fand der Vorfall auf folgende Weise statt:
Zwei kurdisch-yezidische junge Männer, die bei den kurdischen Sicherheitskräften in der Kaserne von Sheikhan arbeiteten, wurden in ihrem Auto auf dem Weg zur Kaserne von einer kurdisch-moslemischen Frau angehalten, die ihrem gewalttätigen Mann weggelaufen war, und sie wurden von ihr um Hilfe gebeten, sie bis zum Polizeikontrollpunkt am Rande von Ba'adre (auf yezidischem Siedlungsgebiet) mitzunehmen. Kurz gesagt: es ging also darum, dass die zwei jungen Yeziden dieser armen und hilflosen Frau halfen, und dass einige Menschen, Feinde des kurdischen Regionalstaates, der Familie der Frau die Lüge erzählten, dass sie, eine moslemische Frau, von zwei Yeziden entführt worden sei. Daraufhin wurde von ihrem Stamm entschieden, die arme Frau auf grausame Weise zu töten und sie zu enthaupten. Nachdem sie die Frau hingerichtet hatten, beschloss der Stamm dann auch die zwei jungen Yeziden zu töten, und sie führten mit einer sehr großen bewaffneten Gruppe fanatischer Moslems, darunter auch Mitglieder von Gruppen wie Ensar Al Islam und andere, die der terroristischen Organisation Al-Qaida nahe stehen, einen Angriff gegen die Yeziden in der Stadt Sheikhan. Sie forderten die Herausgabe der zwei jungen Yeziden, damit sie auch getötet werden könnten. Aber die zwei Yeziden hatten sich in dem Haus des religiösen Oberhaupts aller Yeziden in der Welt, Mîr (Fürst) Tahsîn Beg versteckt, der an diesem Tag in der Stadt Dihok war.
Als Ergebnis wurden die Häuser der Familien der zwei jungen Yeziden von diesen kurdischen Islamisten angegriffen und in Brand gesetzt, aber da niemand zu Hause war, weil die Familienmitglieder weggelaufen waren, kam glücklicherweise dabei niemand ums Leben. Danach wurde eine Reihe von Angriffen gegen die Symbolen der yezidischen Religion wie das Haus des Mîr Tahsîn Beg geführt und 3-4 von seinen Autos wurden angezündet.
Außerdem wurde das Lalish-Kulturzentrum in Sheikhan niedergebrannt. Als ob das nicht genug wäre, begannen sie auch, den Festsaal niederzubrennen, der den Namen des Märtyrers Hiseyin Bavê Sheikh trägt, welcher früher in der kurdischen Befreiungsbewegung eine wichtige und führende Rolle gespielt hatte und einen besonderen Ehrenplatz bei den Yeziden genießt. Nach anderen Informationen brandschatzten diese Angreifer außerdem auch das Kulturzentrum für jugendliche Yeziden und die Grabstätte Sheikh Mend und marschierten durch die Straßen in Sheikhan mit dem Schlagwort „Allahuekber“ (Gott ist groß), und mit sehr schlechten und abschätzigen Worten über die yezidische Religion setzten sie ihren Weg bis ins Zentrum der Stadt fort, wo sie auch hier drei Geschäfte von Yeziden in Brand setzten und total zerstörten. Sie setzten ihre Angriffe fort und fügten den Yeziden sehr große wirtschaftliche Schäden zu, bis Polizei- und Peshmergaverstärkungen aus den Städten Dihok und Akrê die Region erreichten.
Nachdem Mîr Tahsîn Beg über die Vorfälle informiert worden war, nahm er telefonischen Kontakt auf mit Sheikhan und bat alle Yeziden, sich zu beruhigen und die Reaktion des kurdischen Präsidenten und der kurdischen Regierung abzuwarten. Mit dieser klugen und friedlichen Handlungsweise hat Mîr Tahsîn Beg wirklich viele blutigen Zusammenstöße zwischen beiden Seiten verhindert und damit auch, dass die Feinde Kurdistans ihre grausamen Ziele erreichen.
Nach Artikel 140 der Verfassung des irakischen Bundesstaates soll eine Volksabstimmung bis Ende 2007 über Kerkuk, Khaneqin, Shengal (ist hauptsächlich von Yeziden bewohnt) und andere Gebiete entscheiden, die noch außerhalb der Kontrolle des kurdischen Bundeslandes liegen. Die Nachbarn von Irak und Kurdistan tun alles, was in ihrer Macht steht, um zu verhindern, dass diese Volksabstimmung stattfindet. Vor allem der türkische Staat scheint gegenüber der kurdischen Freiheit in Südkurdistan und die Volksabstimmung in Kerkuk sehr feindlich gesinnt zu sein. Man spielt die turkmenische Karte in Bezug auf Kerkuk und benutzt die Anwesenheit der PKK-Guerillas auf dem Qandil-Berg als Vorwand für Drohungen gegenüber Südkurden und bereitet sich auf einen großen Angriff gegen Südkurdistan vor. In den letzten Tagen sieht man einige positive Schritte von der AKP-Regierung, was Südkurdistan angeht. Das ist natürlich erfreulich, aber wie wir wissen, setzt der „Tiefe Staat“ und wirkliche Machtzentrale in der Türkei, eben der Generalstabschef Yashar Büyükanit, immer noch seine Feindseligkeit gegenüber den Kurden fort, und es scheint, dass er seine Haltung nicht ändern will. Außerdem gibt es auch Länder, terroristische Gruppen und Feinde des Kurdischen Volkes, die daraufhin arbeiten, die Lage und Stabilität in Kurdistan zu verschlechtern, damit auch in Kurdistan die kurdischen Moslems und kurdischen Yeziden wie die Sunniten und Schiiten im ganzen Irak einander bekriegen und töten.
Nach dem Vorfall in Sheikhan hat der Präsident Mesud Barzani schnellstmöglich seinen Repräsentanten Sidad Barzani mit einer Delegation nach Sheikhan geschickt, wo er ein großes Treffen von Yeziden, Moslems und Christen (Assyrer) über die Lage in Sheikhan geleitet hat und wo er vor allem für Frieden und Stabilität geworben hat. Außerdem hat er sich im Namen des Präsidenten bei Mîr Tahsîn Beg für dessen friedliche Haltung bedankt, dass er einen blutigen Zusammenstoß verhindert hat. Danach hielt auch Mîr Tahsîn Beg eine Rede und sagte, dass er an die Gerechtigkeit der Gerichte in Kurdistan glaubt, die diesen Vorfall untersuchen und die Schuldigen vor Gericht bringen sollten. Er appellierte an alle Yeziden in der Welt und bat sie sich zu beruhigen, keine falschen Dinge zu tun und nur im Rahmen der demokratischen Gesetze zu handeln.
Am 21. Februar 2007 hatte Präsident Barzani zusammen mit dem Sekretär des Parteivorstands der PDK (Partîya Demokrata Kurdistan/Demokratische Partei Kurdistans), Fazil Mîranî, und einigen Vorstandsmitgliedern der PDK eine Beratung über die Vorfälle in Sheikhan mit einer yezidischen Delegation geleitet, mit Mîr Tahsîn Beg und „Bavê Sheikh“, dem geistlichen Führer der Yeziden, sowie einigen Verantwortlichen für yezidische Gebiete wie Dr. Dekhîl und Heso Nermo. Hier bedankte sich Barzani, auch im Namen des irakischen Präsidenten Celal Talabani, der PDK und der YNK (Yekîtîya Nîshtimanîya Kurdistan/Patriotische Partei Kurdistans), bei Mîr Tahsîn Beg, Bavê Sheikh und anderen yezidischen Ältesten für ihre friedliche und nationale Haltung, dass sie verhindert hatten, dass die Lage sich zu einem großen und blutigen Zusammenstoß entwickelte. Wie viele Male früher sagte Barzani wieder, dass die Yeziden die ursprünglichen Kurden sind, und dass keiner ein Recht hat, Yeziden und andere religiöse Minderheiten in Kurdistan zu unterdrücken und sagte dann:
„…wenn ein Yezide, ein Moslem oder ein Christ einen Fehler macht, bedeutet das nicht, dass alle Moslems, Yeziden und Christen dafür verantwortlich gemacht werden dürfen, und es gibt auch keine Macht, die die Yeziden unterdrücken darf. Es sind starke Vorkehrungen getroffen worden, dass die Schuldigen an diesem Vorfall streng bestraft werden, damit es für sie eine Lektion wird, und damit keiner mehr in der Zukunft auf einen solchen Gedanken zu kommen wagt.
(...) Weder ich selber noch Celal Talabani und die Leitung der PDK und der YNK geben einer so abartigen Kultur jemals eine Möglichkeit nach Kurdistan zu kommen, weil wir an die Freiheit zur Religionsausübung, an Redefreiheit und das Recht der freien Meinungsäußerung glauben, Verstöße dagegen nicht akzeptieren und alle streng bestrafen, die gegen diese Freiheiten agieren.
(...) Ich hätte nie geglaubt, dass es solche Menschen noch unter der Bevölkerung gibt. Wir sind gegen die Kultur, die die Tötung im Namen der Religion als etwas Richtiges akzeptiert. Das ist nicht nur meine Meinung, sondern auch die Meinung von Celal Talabani, dem Parlament, der PDK und der YNK. Deshalb brauchen wir eine Kultur, die dafür sorgt, dass die genannten Freiheiten immer Teil der Kultur der Bevölkerung Kurdistans bleiben, egal wer an die Macht kommt“
(siehe auch: http://www.rizgari.com/modules.php?name=News&file=article&sid=7005)
Im Augenblick herrscht in der Region Sheikhan wieder Ruhe, aber in den letzten Tagen haben Yeziden in vielen Städten in Europa, besonders in Bielefeld, Oldenburg, Hannover, Köln usw. Demonstrationen veranstaltet und bereiten sich auf weitere vor. Diese Demonstrationen sind nicht gegen das Bundesland Kurdistan gerichtet, sondern gegen die islamistischen Gruppen, die für den Pogrom in Sheikhan verantwortlich sind. Nach diesem Pogrom fürchten die Yeziden, dass sie wie oftmals in der Geschichte wieder Massakern ausgesetzt werden. Deshalb fordern sie von der kurdischen Regierung, dass die Schuldigen vor allem bestraft werden und dass die Regierung der yezidischen Gemeinschaft (im Irak) insgesamt Unterstützung gewährt.
Der Zusammenschluss der yezidischen Vereinigungen in Deutschland (HEVKARI), mit 11 Mietgliedsvereinen hat einen Brief zur Lage in Sheikhan an den kurdischen Präsidenten Mesud Barzani, den Präsidenten der Föderalen Republik Irak, Celal Talabani, den Vorsitzenden des kurdischen Parlaments, Adnan Mufti, und an Ministerpräsident Neçirvan Barzani geschickt, worin sie um Unterstützung für die Yeziden nachsuchen und darum bitten, die religiösen Rechte der Yeziden verfassungsgemäß zu verteidigen. Im Brief haben sie auch ersucht, von der kurdischen Regierung offiziell zur Teilnahme an der Untersuchung über die Lage in Sheikhan nach Kurdistan eingeladen zu werden. Darüber hinaus hat die Föderation der Kurdischen Vereine in Deutschland (FKE) auch eine Pressemitteilung abgeschickt und für eine Nachforschung eine Delegation nach Südkurdistan gesandt.
Gleich nach dem Pogrom wurden der Verwaltungschef und einige verantwortliche Beamte in Sheikhan ersetzt. Die Leitung des kurdischen Gebietes hat vor einigen Tagen ein Komitee unter der Leitung von Pîr Khidir Silêman, Mitglied des kurdischen Parlaments, gewählt, um in der Region Sheikhan die Nachforschungen zu beginnen.
Kopenhagen
27.02.2007
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